Smart Mob gegen Überwachung
12. Mai 2008, 14 Uhr, vor der David-Wache auf St. Pauli
Ein sonniger Nachmittag im Mai auf der Reeperbahn: Touristen schlendern herum, Passanten schauen in die Sonne. Plötzlich springen die Leute, die auf den Stufen neben dem Parkhauseingang vor der David-Wache rumgelungert haben, auf und setzen sich schwarze Balken auf die Nase. Zehn Minuten schauen sie dann mit diesem "Personal Anonymizer" im Gesicht in die Kamera, die von einem Laternenmast auf dem Mittelstreifen aus den Platz vor der David-Wache im Visier hat. Ein kleines Zeichen gegen die ausufernde Video-Überwachung im öffentlichen und inzwischen auch privaten Raum, nicht mehr, aber auch nicht weniger. So sah das aus:
Ein paar Anmerkungen zur Videoüberwachung
Wir haben vorher einige Diskussionen darüber geführt, wo denn das Problem speziell an den 2006 auf der Reeperbahn installierten Videokameras sei. Die seien doch gut angesichts der Gewalt auf dem Kiez, haben manche gesagt.
Mit dieser Meinung stehen sie nicht alleine da: Eine Befragung zu Videoüberwachung in Hamburg, die von Hamburger Kriminologen auf der Reeperbahn gemacht wurde, kam zu dem Ergebnis, dass 32 Prozent "auf jeden Fall dafür" sind. 55 Prozent lehnten auch einen Verzicht auf Videoüberwachung ab, wenn mehr Polizisten Streife laufen würden. Andererseits fühlten sich 57 Prozent durch die Kameras nicht besser vor Überfällen und Diebstählen geschützt was sagt man jetzt dazu? Ganz interessant aber dann dieses Ergebnis: Nur 27 Prozent würden Kameras auch in ihrer Straße begrüßen! Das Sankt-Florians-Prinzip am Werk?
(Die Ergebnisse als PDF)
OK, genug der spitzen Bemerkungen. Ich halte es für ziemlich kurzsichtig, Videoüberwachung nur auf die Reeperbahn bezogen und nicht in einem größeren Kontext zu betrachten nämlich einer Entwicklung hin zu immer mehr Überwachung und flächendeckender Verhaltensauswertung (woran sich übrigens auch die Wirtschaft beteiligt). Denn die hat zwei gravierende Probleme:
1. Die derzeitigen Überwachungsmaßnahmen verletzen zunehmend unsere im Grundgesetz verankerten Rechte, vom Staat im Alltag in Ruhe gelassen zu werden (Artikel 4, 5, 10 13). Diese Rechte sind nicht an die Bedingung gekoppelt, dass man sich nichts zu Schulden kommen lässt, man also in Vorleistung gehen muss. Sie gelten immer und von vorneherein, für jeden von uns! Und sie wurden nach den Erfahrungen mit Totalüberwachung und Denunziation im Dritten Reich aus gutem Grund ins Grundgesetz geschrieben. Auch wenn das jetzt schon sechs Jahrzehnte her ist: Leute, seid nicht naiv. Schmeißt nicht diese historische Errungenschaft wegen einer gefühlten Zunahme der Bedrohung durch Kriminelle und Terroristen (die empirisch übrigens nicht haltbar ist) einfach so weg. Bürgerrechte sind nicht verhandelbar!
2. Ähnlich wie Steuern haben Überwachungsmaßnahmen den Haken, dass ihre Einführung selten befristet ist. Angesichts der diffusen Bedrohung durch einen internationalen "Terror" gibt es ja auch kein Kriterium, wann dieser als erledigt betrachtet werden könnte. Die Entwicklung ist also eine Einbahnstraße, und wo die hinführt, zeigt eindrucksvoll Großbritannien mit über 4 Millionen Überwachungskameras. In Middlesbrough hängen auf Straßenkreuzungen neben den Kameras sogar schon Mikrofone, durch die die Kontrolleure den Bürgern Anweisungen geben (siehe dazu Artikel in der Zeit vom 11.1.2007). George Orwell wusste, was in den Briten steckt.
Dass Videoüberwachung überhaupt die behaupteten positiven Auswirkungen hat, darf bezweifelt werden. Florian Glatzner von der Uni Münster kommt in seiner Magisterarbeit von 2006 wie andere vor ihm auch zu dem Schluss, "dass die Videoüberwachung nicht das erhoffte Wundermittel zur Verringerung der Kriminalität ist". Die Arbeit kann beim Bielefelder Datenschutzverein FoeBud runtergeladen werden kann. Der IT-Sicherheitsexperte Bruce Schneier hat im Juni in seinem Blog ebenfalls zur Nutzlosigkeit von Videoüberwachung Stellung genommen (der Text enthält weitere Links).
Wer mehr zum Thema Video/Überwachung wissen will:
könnte meinen Überblicksartikel von 2006 lesen, erschienen in der Technology Review (als PDF) und bei Spiegel online (als HTML); oder
auf die Informationsseite vom FoeBud e.V. zu Videoüberwachung gehen. Der FoeBud ist generell ein sehr guter Ausgangspunkt, um sich über Überwachung und Datenschutz zu informieren.
nbo
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