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Love & Sex with Robots?

Einige Futurologen behaupten, dass Roboter sich zu vollwertigen Lebenspartnern für Menschen entwickeln werden. Das mag absurd klingen, aber diverse Forschungsgruppen arbeiten daran, Robotern Emotionen beizubringen. Und wir Menschen fallen leichter darauf rein, als wir zugeben möchten.
(Dieser Text ist in TR 03/2008 erschienen)

Die Reeperbahn im Jahr 2054: Wie früher schieben sich Touristen und Vergnügungssüchtige über die "sündige Meile". Doch von den Prostituierten, die sich den Herren einst forsch in den Weg stellten, und den Koberern, die aufdringlich für erotische Abenteuer in zwielichtigen Kaschemmen warben, ist nichts mehr zu sehen. Stattdessen werben elektronische Displays in durchgestylten Hightech-Etablissements für benutzerfreundliche Modelle mit dem neuesten "Emo-Chip". Das horizontale Gewerbe ist eine nahezu keimfreie Veranstaltung geworden: Sex-Roboterinnen versprechen nie da gewesene Erlebnisse – ohne Reue, ohne Aids-Gefahr und trotzdem garantiert gefühlsecht.

Was etwas an das Skript für einen billigen Film erinnert, ist sehr ernst gemeinter Teil einer Vision, die der britische Informatiker David Levy in seinem neuen Buch "Love and Sex with Robots" ausbreitet: "Menschen werden sich in Roboter verlieben, sie heiraten und Sex mit ihnen haben. Das ist langfristig unvermeidlich", schreibt Levy, nebenbei Schach-Großmeister und Präsident der International Computer Games Association. Und legt im Gespräch nach: "Sicher wird so eine Maschine für einige Leute ein Statussymbol sein, aber ich glaube, die größte Gruppe, die Roboter bevorzugen wird, sind Millionen von Menschen, die es aus was für Gründen auch immer schwierig finden, Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen. Für diese Menschen werden Roboter die Lösung für eines der wichtigsten Probleme in ihrem Leben."



Wer den Mann als Spinner oder naiven Technik-Fetischisten entlarven will, wird wahrscheinlich erst mal intellektuell aufholen müssen. Denn das geistige Rüstzeug für seine Überzeugungen hat Levy sich in seiner über 300 Seiten starken Dissertation erarbeitet, die er mit stolzen 60 Jahren nachgeholt hat. Sicher, seine Grundannahme ist sehr optimistisch: Bis zur Mitte des Jahrhunderts, prophezeit Levy, werden wir Roboter haben, die sich nicht nur physisch mit Menschen messen können, sondern auch über echte künstliche Intelligenz verfügen –- inklusive Emotionen. Vor allem aber ist Levy davon überzeugt, dass Menschen prädestiniert sind, emotionale Beziehungen mit Robotern zu wagen.

So hat er aus der umfangreichen Literatur zum Thema zehn Faktoren herausdestilliert, die das Werben elektronischer Gigolos begünstigen. Nimmermüde Geduld und viel Zeit gehören dazu – "wiederholte räumliche Nähe" schafft beste Voraussetzungen für das elektronische Anbandeln. Das Aussehen eines Roboters kann zudem ganz nach den jeweiligen Vorlieben gewählt werden. Aber auch die digitale Empathie ist wichtig - laut Byrnes Gesetz, aufgestellt im Jahr 1971 vom Sozialpsychologen Donn Byrne, steigt die Anziehungskraft einer Person, in deren Nähe man sich wohl und verstanden fühlt. Und das Teilen von emotional wichtigen Erkenntnissen oder Erlebnissen verbindet nicht nur, es lässt sich mithilfe einer cleveren Gesprächsstrategie auch recht leicht provozieren.

Also keine Science-Fiction? „Es passiert doch schon heute“, sagt der japanische Roboterforscher Hiroshi Ishiguro, „bereits vor einigen Jahren habe ich ein interessantes Gerät gesehen. Es ließ sich an einen USB-Port des Computers anschließen. Wenn der Kunde eine bestimmte Internetseite ansteuerte, erschienen hübsche Frauen und das Gerät synchronisierte seine Bewegung mit denen der Frau.“ Was Ishiguro, der an der Universität Osaka die zurzeit wohl menschenähnlichsten Roboter der Welt konstruiert, da so japanisch zurückhaltend beschreibt, nennt sich „Teledildonics“: Eine künstliche Vagina und gegebenenfalls dazu ein Vibrator werden per Internet so miteinander gekoppelt, dass die Bewegungen sich gegenseitig beeinflussen. Der Wissenschaftler ist sich zudem sicher, dass neben Sex auch Liebe ins Spiel kommen wird. „Allerdings ist die Definition dieses Gefühls schwierig“, sagt der Professor, „einige Menschen sind verrückt nach Puppen oder, besonders in Japan, nach Comic-Figuren. Sie fühlen eine Art Liebe. Ich denke, Robotertechnologien werden dieses Gefühl noch verstärken.“



Tatsächlich zeigt die Forschung auf dem Gebiet der Mensch-Maschine-Interaktion, dass die von Levy prognostizierte Entwicklung bereits begonnen hat. Ein Grund dafür ist ein Phänomen, das in der Psychologie Anthropomorphismus genannt wird: die Neigung des Menschen, auch unbelebten Objekten in bestimmten Situationen Absichten und mentale Zustände zu unterstellen.

Ein Versuch der amerikanischen Psychologen Fritz Heider und Mary-Ann Simmel beschrieb den Effekt bereits 1944: Sie führten Versuchspersonen einen Film mit sich rasch bewegenden Dreiecken und Quadraten vor. Gefragt, was sie gesehen hätten, beschrieben die Probanden, das größere Dreieck habe das kleinere „gejagt“. 1960 erregte dann Joseph Weizenbaums Dialog-Programm „Eliza“ Aufsehen. Trotz seiner Schlichtheit – gemessen an heutigen Möglichkeiten – hatte Eliza damals schon eine emotionale Wirkung auf viele Nutzer. Zu Weizenbaums Verblüffung chatteten seine Studenten nicht nur gern mit Eliza, einige wollten sogar mit dem Programm allein sein, das sie offenbar als verständnisvollen Zuhörer empfanden.

Seither hat sich die Computertechnik drastisch weiterentwickelt und damit auch die Möglichkeiten zur Interaktivität. So konfrontierten Clifford Nass und Youngme Moon an der Stanford University Versuchspersonen in einem Lern- und Prüfungsszenario mit drei verschiedenen Computern, deren Sprachsynthese jeweils entweder mit männlichen oder weiblichen Stimmen konfiguriert war. Obwohl den Probanden bekannt war, dass die Stimmen von Software generiert wurden und die ausgegebenen Texte exakt gleich waren, schrieben sie dem Lerncomputer mit der männlichen Stimme in der Regel eine höhere Kompetenz zu. Laut Nass und Moon liegt das daran, dass in der menschlichen Psyche durch verschiedenste Reize „verschiedene Skripte, Kategorien und Erwartungen“ ausgelöst werden, die die Aufmerksamkeit für bestimmte Informationen erhöhen und für andere absenken. Die Interaktion mit Computern schmuggelt also auf diese Weise gewissermaßen eine Vermenschlichung durch die Hintertür des menschlichen Bewusstseins.

Eine wirklich emotionale Bindung zwischen Nutzer und Technik kann allerdings nur zustande kommen, wenn sie keine Einbahnstraße ist – das geliebte Gerät muss also zumindest den Anschein erwecken, dass es die Gefühle erwidert. Wie aber programmiert man Emotion? Mit den Psychologen haben sich auch die Informatiker mittlerweile vom „kategorialen Emotionsmodell“ verabschiedet; es kennt acht Basisemotionen wie Freude, Zorn oder Überraschung, die im Laufe der Evolution entstanden und immer auch an bestimmte Handlungen gekoppelt seien. „Basisemotionen sind nicht mehr der neueste Stand der Psychologie“, sagt Nicole Krämer, die an der Universität Köln unter anderem zur Mensch-Maschine- Interaktion forscht.

Heute arbeitet man deshalb mit dem „dimensionalen Emotionsmodell“. Darin werden Emotionen nicht mehr auf einige wenige Grundtypen reduziert, sondern durch Zustände mit fließenden Übergängen untereinander in einem abstrakten Emotionsraum repräsentiert. Der hat drei Dimensionen, die sowohl negative als auch positive Werte annehmen können: Freude, Erregung und Kontrolle. Nach den englischen Bezeichnungen „pleasure, arousal, dominance“ wird deshalb vom sogenannten PAD-Raum gespro- chen. Jeder Input von der Außenwelt wird bewertet und verschiebt den emotionalen Zustand des Systems im PAD-Raum.

Dort lassen sich dann verschiedenen Sektionen festgelegte Ausdrucksformen etwa eines Avatars zuordnen (siehe nächstes Bild). Auf diesem Ansatz basiert zum Beispiel der am Bielefelder Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) entwickelte Avatar „Max“. Das Kerlchen, das wie ein seniler Teenager aussieht, ist seit einiger Zeit im Heinz-Nixdorf-Museum in Paderborn als virtueller Museumsführer installiert und hat sich dort zum Publikumsmagnet entwickelt. Seine Sprachverarbeitung registriert auch Beleidigungen – eine einzige löst noch keine sichtbare Reaktion aus, sie verschiebt Max’ emotionalen Zustand im PAD-Raum nur ein Stück in Richtung Ärger. Erst wenn die Beleidigungen sich häufen, setzt der Avatar einen ärgerlichen Gesichtsausdruck auf.



„Menschen reagieren ja meistens auch erst, wenn sich Vorwürfe oder spitze Bemerkungen wiederholen“, erklärt der Mathematiker und Künstliche-Intelligenz-Forscher Ipke Wachsmuth, der das ZiF leitet. Zusammen mit der Gruppe des Wiener Verhaltensforschers Karl Grammer hat Wachsmuths Team inzwischen das Nachfolgemodell „Emma“ entwickelt, dessen Mimik eine feinere Differenzierung von Ausdrücken ermöglicht. Emmas Gesichtsfläche wird von „Action Units“ angetrieben, die den Bewegungen der menschlichen Gesichtsmuskeln entsprechen. „Die kann jetzt sogar einen Kussmund machen“, flachst Wachsmuth, obwohl das im ursprünglichen Modell gar nicht explizit vorgesehen gewesen sei.

Solche Fähigkeiten sind beileibe nicht nur Spielkram: Timothy Bickmore und Rosalind Picard vom MIT argumentieren, die Qualität menschlicher Beziehungen könne einen signifikanten Einfluss auf die Effizienz bei Verkauf, Erziehung, Psychotherapie und Service haben. „In diesen Bereichen ist die Gestaltung von Beziehungen nicht nur eine angenehme Begleiterscheinung, sondern sie hat auch direkte Auswirkungen auf die Performance“, schreibt Bickmore.Das könne man auch auf die Zusammenarbeit mit Computern übertragen. Denkbar wären zum Beispiel Verkaufsagenten, die über einen längeren Zeitraum eine Beziehung mit dem Kunden aufbauen, um Vertrauen zu entwickeln.

„Wenn eine Maschine Interesse an uns zeigt, werden unsere Darwin’schen Knöpfe gedrückt“, sagt die MIT-Forscherin Sherry Turkle, die seit 30 Jahren vor allem die Beziehung zwischen Kindern und Computern untersucht. „Augenkontakt suchen, jemanden mit Blicken verfolgen, sich seinen Namen merken oder die Person wiedererkennen – das sind klare Anzeichen für Menschen, dass da ,jemand‘ ist“, erklärt sie. Simuliert man solche Verhaltensweisen in digitalen Geschöpfen, würden in den Nutzern automatisch starke anthropomorphe Reaktionen ausgelöst.

Das überaus erfolgreiche Tamagotchi von 1997 markiert Turkle zufolge einen Übergang zur nächsten Stufe: Weil das digitale Wesen von seinem Besitzer gehegt werden musste und bei Vernachlässigung virtuell sterben konnte, wurden Fantasien angeregt, das Tamagotchi selbst empfinde für seinen Vormund auch etwas. Das hat dazu geführt, dass gerade für die jüngste Generation, die mit solchen interaktiven Gadgets aufgewachsen ist, die Grenze zwischen Lebewesen und unbelebten Objekten zunehmend verschwimmt, sagt Turkle. Tamagotchis, Furbys oder Aibos seien für sie bereits „irgendwie lebendig“.

Emotionale Erpressung“ nennt Frédéric Kaplan von der EPFL in Lausanne das. Der Erfolg dieser Roboterspielzeuge beruhe darauf, dass sie einerseits eine gewisse Autonomie besäßen und andererseits dafür sorgten, dass man sich um sie kümmert, erklärt der Wissenschaftler, der lange Jahre für Sony am Computerhund Aibo geforscht hat: „Der Besitzer soll ein schlechtes Gewissen bekommen, wenn er das nicht tut.“ Sind wir also gewissermaßen Sklaven unseres biologischen Erbes? Und lässt sich das am Ende gar ausnutzen für das Design von Produkten, die wir im wahrsten Sinne des Wortes einfach lieben müssen?



Der Kognitionsforscher Don Norman hat die Diskussion um diese Frage mit seinem 2004 erschienenen Buch „Emotional Design“ zwar entscheidend vorangetrieben. Eine einfache Antwort auf diese Frage gibt es jedoch bis heute noch nicht. „Form follows function gilt zwar immer noch, aber das reicht nicht mehr. Man will zusätzlich zur Funktionalität auch ein angenehmes Gefühl haben“, sagt der Usability-Spezialist und Psychologe Hartmut Wandke von der Humboldt- Universität Berlin.

Um dieses hehre Ziel zu erreichen, muss man die gesamte Bandbreite der menschlichen Psyche bearbeiten. Norman unterscheidet drei Ebenen, auf denen ein Gegenstand auf den Benutzer wirkt: Die „viscerala“ – eine Art Ganzkörper-Bauchgefühl, das optische und haptische Eindrücke mit einschließt, die Verhaltensebene mit angelernten Verhaltensweisen und drittens die reflektive Ebene, die beispielsweise das Selbstbild des Benutzers mit einbezieht. Noch komplizierter wird die Sache dadurch, dass sich alle drei Ebenen beeinflussen können: „Nehmen Sie zum Beispiel den 100-Dollar-Laptop“, erklärt Wandke, „es gibt Geräte, die sehen besser aus, und solche, die sind leistungsfähiger. Aber Sie wissen, dass Sie mit dem Kauf des Gerätes etwas Gutes tun. Und das verschafft Ihnen ein angenehmes Gefühl, wenn Sie das Ding benutzen.“

Die reflektive Ebene wird auch gekitzelt, wenn Geräte scheinbar einen eigenen Willen haben. Was noch vor zehn Jahren als Design-Todsünde galt – wie beispielsweise Vieldeutigkeit in der Interaktion oder eine bewusste Überforderung des Nutzers –, kann nämlich gerade bei hochgradig interaktiven Geräten dazu dienen, Neugier und Aufmerksamkeit zu provozieren. Das sind ohne Zweifel Gefühle – und schon bahnt sich eine persönliche Beziehung zwischen Nutzer und Gerät an.

Wie gut das funktioniert, testet Sony in Japan gerade an einem eigenwilligen MP3-Player: Das zehn Zentimeter lange und rund sechs Zentimeter dicke Ei besitzt weder ein Display noch Knöpfe für Start, Stop oder schnellen Vorlauf. Dafür fängt es plötzlich an, zu abgespielter Musik zu tanzen; es kreiselt, klappt seitlich angebrachte Schutzklappen für die Lautsprecher auf wie Flügel und lässt bunte Lichter rotieren.



„Aus unseren Erfahrungen mit Aibo wussten wir, dass die Tatsache, dass die Maschine sich selbsttätig bewegt, die Gefühle von Menschen beeinflusst“, sagt Nobuhiko Oguchi, Senior Manager New Business Field and Product Department des Audio-Bereichs bei Sony. Deshalb sollte sich auch das MP3-Ei bewegen können, und zwar auf eine gefühlsträchtige Art: „Wir hatten nicht vor, die Bewegungen eines bestimmten Tieres zu kopieren. Stattdessen haben wir versucht, Bewegungen einzubauen, die für die Form – ein einfaches Oval, das auf den Benutzer freundlich wirken soll – möglichst überraschend sind.“

Das Benutzer-Interface dagegen sollte so intuitiv wie möglich sein, erklärt Oguchi. Deshalb beruht es ebenfalls auf Bewegung: Wenn man das Ei von sich wegschiebt, springt es ein Musikstück weiter, durch Drehen lässt sich die Lautstärke regulieren. Während das Ei tanzt, ist die Steuerung abgeschaltet. Auch Maschinen, da ist sich Buchautor Norman sicher, werden früher oder später mit Emotionen ausgestattet sein – aus denselben Gründen, aus denen auch Menschen sie brauchen: für bessere Interaktion, für Kooperation und zum Lernen.

Dabei werden die Maschinen-Emotionen nicht unbedingt denen von Menschen ähnlich sein, sondern eher solche, die der maschinellen Aufgabe entsprechen. Dazu Norman: „Wie soll mein Toaster jemals lernen, wie ich den Toast am liebsten mag, wenn er nicht stolz auf seine Arbeit sein kann?“ Wohin das führen kann, will Frédéric Kaplan Ende Februar im Museum of Modern Arts in New York zeigen. In der Ausstellung „Design and the Elastic Mind“ stellt er erstmals sein Projekt „Wizkid“ der Öffentlichkeit vor. „Wizkid kann beschrieben werden als Computer-Display, das auf einem flexiblen Roboterhals sitzt“, erklärt der EPFL-Forscher.



Das Gerät ist in der Lage, nach Menschen und Objekten in seinem Sichtfeld zu suchen und ihnen mit der Kamera zu folgen, und kann mithilfe von Bewegungen und einer Art stilisierter Comic-Augenbraue Emotionen ausdrücken – Überraschung etwa oder Verwirrung über einen empfangenen Befehl. „Das erlaubt uns, die Tatsache auszunutzen, dass Menschen Computer wie andere Menschen behandeln. Der Computer wird damit von einem Werkzeug zu etwas, das die Rolle eines Teammitglieds einnimmt, zu einem Gefährten oder Assistenten“, sagt Kaplan.

Mit der Arbeitsgruppe „Biologisch inspirierte Roboter“ der EPFL arbeitet er zudem an sogenannten Roombots – modular aufgebauten Robotern, die immer genau die Form eines Möbelstücks annehmen, die der Benutzer gerade benötigt. Es wird allerdings noch mindestens ein Jahr dauern, bis die ersten Prototypen in Lausanne zu besichtigen sind. An der Harvard University ist man in dieser Hinsicht schon etwas weiter: Dort hat Chih-Han Yu mit Kollegen der Self-Organizing Systems Research Group einen mitdenkenden Robotertisch gebaut.

Er besteht aus voneinander unabhängigen, relativ einfachen Modulen, die in der Lage sind, ihre räumliche Position zueinander zu messen und mithilfe von Motoren zu korrigieren. Dadurch kann der Tisch etwa die Länge seiner Beine unabhängig voneinander an die aktuelle Verwendung anpassen – man kann ihn beispielsweise einfach hochheben und damit im Bett frühstücken. „Bisher sind Möbel immer statisch gewesen“, erklärt Yu, „wir statten sie mit Intelligenz aus. Der balancierende Tisch ist nun eine Kombination aus Möbelstück und eine Art Haustier, das dem menschlichen Benutzer dient.“

Doch so ausgeklügelt diese Maschinen auch sind – sie sind noch viele Jahre von den androiden Lebenspartnern entfernt, die David Levy ankündigt. Selbst die ausgeklügelten Emotionsmodelle von Avataren haben beispielsweise ein entscheidendes Manko: Ihnen fehlt die körperliche Basis. ZiF-Forscher Wachsmuth spricht deshalb auch lieber von „gefühlsanalogen Bewertungen“ als von Emotionen, wenn Avatar Max die Forscher im Institutsflur freudig begrüßt.

Denn körperliches Erleben wird von fast allen Forschungsrichtungen als untrennbarer Bestandteil von Emotionen angesehen, die wiederum wichtig für das Lernen sind – eine der großen Herausforderungen auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz (KI). Dazu kommt, dass es bislang keine geschlossene Theorie darüber gibt, wie zwischenmenschliche Beziehungen überhaupt funktionieren – es gibt also auch kein Modell, auf das Programmierer zurückgreifen könnten. Damit fehlt ein entscheidender Punkt für die elektronische Beziehungspflege: Damit der Computer Absichten wie den Aufbau und die Pflege einer Beziehung zu Menschen planvoll in gezielte Aktionen umsetzen kann, braucht er ein Modell der Situation.

Die gute Nachricht lautet aber, so die MIT-Experten Bickmore und Picard: Bislang liegen keine Erkenntnisse vor, die den Schluss zulassen, dass Computer nicht die Rolle von menschlichen Partnern einnehmen könnten. In Japan, wo die Kunst, menschenähnliche Roboter zu bauen, derzeit am fortgeschrittensten ist, konzentriert sich die Robotik in erster Linie darauf, den menschlichen Bewegungsablauf nachzubilden. Das berühmte humanoide Modell Asimo von Honda etwa kann inzwischen auch rennen und Treppen steigen. Einen Gesichtsausdruck sucht man auf seinem Kugelkopf bislang allerdings vergeblich: Statt eines Gesichts hat Asimo nur eine schwarze gewölbte Scheibe zu bieten.



Um eine grobe Annäherung an David Levys künstliche Freunde zu schaffen, müssten alle Ansätze – Emotionsmodelle, Mimik, Verhaltensanalyse und Körpermechanik – erst einmal in einem Roboter zusammengeführt werden. Doch könnte so tatsächlich ein Androide entstehen, der über eine emotionale Intelligenz verfügt, die es mit der menschlichen aufnehmen kann? Die meisten Zeitgenossen würden diese Frage verneinen. Denn nach wie vor gelten Emotionen vielen als die Eigenschaft des Menschseins schlechthin, die letztlich wie das Bewusstsein einem unergründlichen „elan vital“ entspringt. Diese Vorstellung weisen Forscher wie Rodney Brooks entschieden zurück: „Wir sind alle Maschinen. Auch menschliche Emotionen sind mechanistisch“, sagt der Leiter des KI-Labors am MIT und Mitgründer der Staubsaugroboter-Firma iRobot.

Auch für den KI-Pionier Marvin Minsky sind Emotionen nur „eine weitere Art zu denken“. Und zwar eine, die unmittelbar Handlungen auslösen kann, wie er in seinem letzten Buch „The Emotion Machine“ schreibt: „Wenn wir unseren Körper zum Überleben brauchen und er immer dabei ist, ist es sinnvoll, dass unser Gehirn ihn als verlässlichen externen Speicher von Erinnerungen nutzt“ – von Erinnerungen an bestimmte Situationen, die im Laufe der Evolution prägend waren. Würden wir irgendwann die Arbeitsweise des menschlichen Gehirns und des Nervensystems verstehen, wüssten wir auch, wie Emotionen funktionieren.

Dann könnten wir vielleicht wirklich einen Androiden schaffen, der fühlen – und so etwas wie Beziehungen mit Menschen eingehen kann. Doch damit enden die Probleme noch lange nicht. Wären die Gefühle dann nur simuliert oder echt? „Ich glaube, es ist unmöglich, hier eine wissenschaftlich eindeutige Unterscheidung zu treffen“, sagt der Philosoph und Robotikforscher Dylan Evans, „wenn wir Gefühle als Rechenvorgänge im Gehirn definieren, ist es egal, ob diese organisch oder aus Silizium sind.“



Natürlich dürften viele Menschen intellektuell und emotional eigenständige Maschinen als Bedrohung empfinden. Aber gerade der düstere Kultfilm „Blade Runner“, vielleicht der wichtigste Film zum Thema, zeigt auch die andere Möglichkeit: Der Agent Rick Deckard verliebt sich in die Replikantin Rachael. Zunächst sträubt er sich gegen seine eigenen Gefühle für diesen künstlichen Menschen und noch mehr gegen ihre Gefühle für ihn. Schließlich akzeptiert er aber, dass sie echt sind, und flieht mit Rachael in ein neues Leben. Ein fernes, aber denkbares Szenario? „Ich kann das nicht ausschließen“, sagt Blade-Runner-Fan und KI-Forscher Ipke Wachsmuth lächelnd.

Von nbo und Wolfgang Stieler

Mit freundlicher Genehmigung von Technology Review, Heise Zeitschriften Verlag. © 2008 Technology Review



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